Kündigungen während einer bestehenden Erkrankung sind in arbeitsrechtlicher Hinsicht besonders sensibel. Sie berühren nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern oft auch persönliche Lebenssituationen mit existenzieller Bedeutung. Gerade deshalb sieht das deutsche Arbeitsrecht für eine krankheitsbedingte Kündigung besonders strenge Voraussetzungen vor. Arbeitgebern kommt dabei eine besondere Prüfpflicht zu, Arbeitnehmer hingegen haben Anspruch auf umfassenden Schutz vor sozial ungerechtfertigten Maßnahmen.
Die rechtliche Grundlage bildet vor allem das Kündigungsschutzgesetz (KSchG), ergänzt durch eine ständige und ausdifferenzierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte. Im Zentrum der Rechtsprechung steht die sogenannte dreistufige Prüfung, die im Folgenden näher erläutert wird.
Wann ist eine Kündigung wegen Krankheit zulässig?
Eine krankheitsbedingte Kündigung ist ein Sonderfall der personenbedingten Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Sie kann grundsätzlich nur dann ausgesprochen werden, wenn die Erkrankung zu erheblichen betrieblichen oder wirtschaftlichen Nachteilen führt und keine milderen Mittel zur Verfügung stehen. Es ist dabei zu beachten, dass nicht die Krankheit als solche zur Kündigung berechtigt, sondern deren Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis. Ob die Kündigung sozial gerechtfertigt ist, entscheiden die Gerichte anhand der Einzelfallumstände.
(BAG, BeckRS 2007, 45855, Orientierungssatz)
Die dreistufige Prüfung im Überblick
Die Rechtsprechung verlangt bei krankheitsbedingten Kündigungen eine dreistufige Prüfung. Diese ist in der Praxis zwingend zu beachten:
- Negative Gesundheitsprognose
Zunächst muss festgestellt werden, ob auch zukünftig mit krankheitsbedingten Ausfällen zu rechnen ist. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Kündigungszugangs. Liegt eine langanhaltende oder wiederkehrende Erkrankung vor, ist eine negative Prognose oft gerechtfertigt, sofern in absehbarer Zeit keine Heilung zu erwarten ist.
Abgeschlossene Infekte oder Verletzungen mit vollständiger Genesung reichen als Kündigungsgrund nicht aus. Wiederkehrende Beschwerden oder chronische Leiden reichen hingegen schon.
(LAG Hamm, BeckRS 2010, 71837; NZA 1990, 307)
2. Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
Die Krankheit muss sich spürbar negativ auf den Betrieb auswirken. Dies kann durch häufige Ausfälle, längere Vertretungszeiten, eingeschränkte Planbarkeit oder übermäßige Lohnfortzahlungskosten geschehen. In kleinen Unternehmen wiegen diese Faktoren naturgemäß schwerer als in weitaus größeren Strukturen international agierender Großunternehmen.
(NZA 1984, 86; LAG Rheinland-Pfalz, BeckRS 2021, 45321)
3. Interessenabwägung
Selbst bei negativer Prognose und wirtschaftlicher Beeinträchtigung bleibt die Kündigung unwirksam, wenn eine Abwägung der Interessen zugunsten des Arbeitnehmers ausfällt. Dabei fließen Alter, Unterhaltspflichten, Betriebszugehörigkeit, Sozialschutzbedürfnis und Verhalten während der Krankheit ein. Eine Kündigung ist daher nur das „letzte Mittel“, also die sogenannte ultima ratio für den Arbeitgeber.
(ArbG Hagen, BeckRS 2018, 60920, Entscheidungsgründe)
4. Sonderfälle
Langandauernde Krankheit
Bei monatelanger oder sogar jahrelanger Arbeitsunfähigkeit liegt die Hürde für eine Kündigung niedriger, zumindest sofern keine belegbare Rückkehrperspektive besteht. Hier kommt es entscheidend auf medizinische Stellungnahmen oder Sachverständigengutachten an, mit denen der Arbeitgeber eine realistische Einschätzung treffen muss.
Häufige Kurzerkrankungen
Auch regelmäßig wiederkehrende Erkrankungen, z.B. zehn bis zwölf Fehltage pro Jahr über mehrere Jahre, können einen wirksamen Kündigungsgrund darstellen. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber mit weiteren solchen Ausfällen in der Zukunft rechnen muss und diese den Betrieb erheblich stören.
(LAG Hamburg, BeckRS 2010, 73777)
Behinderung und Diskriminierung
Liegt zusätzlich zur Erkrankung eine anerkannte Behinderung vor, ist der Arbeitgeber verpflichtet, angemessene Vorkehrungen zu prüfen etwa Arbeitsplatzanpassungen oder Umsetzungen. Wird dies unterlassen, kann die Kündigung gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßen.
(BeckOK BGB/Horcher AGG § 2 Rn. 52–54)
Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM)
Hat ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres mehr als sechs Wochen gefehlt, ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, ein BEM anzubieten (§ 167 Abs. 2 SGB IX). Das Ziel ist die Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit und die langfristige Erhaltung des Arbeitsplatzes.
Zwar ist ein fehlendes BEM kein automatischer Kündigungsgrund, doch wird es im Rahmen der Interessenabwägung regelmäßig negativ gewertet, wenn Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Auch dabei ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen.
(ArbG Hamburg, BeckRS 2017, 126337)
Die außerordentliche Kündigung wegen Krankheit
In besonderen Ausnahmefällen ist eine außerordentliche Kündigung möglich. Ein häufiges Beispiel für eine fristlose Kündigung wegen Krankheit sind tarifliche unkündbare Arbeitnehmer. Hier gelten noch höhere Anforderungen an die Wirksamkeit einer Kündigung. Die Weiterbeschäftigung muss dem Arbeitgeber unter keinen Umständen mehr zumutbar sein, etwa wenn eine dauerhafte, vollständige Arbeitsunfähigkeit vorliegt und keine Umsetzungsmöglichkeit besteht. Darüber hinaus dürfen keinerlei andere mögliche Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für den Arbeitgeber bestehen.
(LAG Rheinland-Pfalz, BeckRS 2011, 75302, Leitsatz; MüKoBGB/Henssler BGB § 626 Rn. 303)
Häufige Fehler und Irrtümer
Einige Missverständnisse halten sich dabei hartnäckig:
- „Während einer Krankschreibung darf nicht gekündigt werden“
Falsch. Die Kündigung darf auch während der Arbeitsunfähigkeit erfolgen, sie muss allerdings sorgfältig begründet sein. - „Eine lange Krankheit reicht für eine Kündigung“
Nicht zwangsläufig. Es kommt auf die Prognose, die betrieblichen Auswirkungen und die Interessenabwägung an. - „Ein unterlassenes BEM macht die Kündigung automatisch unwirksam“
Ebenfalls falsch. Aber: Es spricht gegen den Arbeitgeber, wenn er kein BEM durchgeführt hat.
Was Betroffene tun können/ sollten
Sobald der Fall der Kündigung wegen Krankheit eintritt, steht man häufig vor der Frage was nun getan werden soll/ muss. Um im Ersten Moment nichts falsch zu machen und dadurch eventuelle rechtliche Nachteile fürchten zu müssen, haben wir einige nützliche Tipps aus der Praxis zusammengestellt.
Für Arbeitnehmer:
- Kündigung erhalten? Fristgerecht handeln. Innerhalb von drei Wochen nach Zugang kann Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erhoben werden.
- Medizinische Stellungnahme prüfen lassen: Häufig ergibt sich keine negative Prognose.
- Gibt es Umsetzmöglichkeiten im Betrieb? Auch das kann ein Kündigungshindernis sein. Dafür muss allerdings ein konkreter Alternativarbeitsplatz dargelegt werden. Der bloße Verweis auf alternative Arbeitsmöglichkeiten reicht nicht aus.
Für Arbeitgeber:
- Einzelfall sorgfältig dokumentieren. Keine pauschalen Gründe nennen, sondern fundiert und begründet die einzelnen nötigen Kündigungsgründe darlegen.
- Dreistufige Prüfung systematisch anwenden und rechtlich überprüfen (lassen)
- BEM anbieten – schriftlich. Auch bei Ablehnung durch den Arbeitnehmer dokumentieren, um dies in einem eventuell folgenden Kündigungsschutzverfahren beweisen zu können.
- Betriebsrat anhören. Ohne ordnungsgemäße Anhörung droht ebenfalls die Unwirksamkeit.
Fazit
Die krankheitsbedingte Kündigung ist kein einfacher Schnellschuss. Sie ist rechtlich zulässig, aber nur unter strengen, differenziert zu prüfenden Voraussetzungen wirksam. Arbeitgeber müssen strukturiert und transparent handeln, Arbeitnehmer sollten ihre Rechte kennen und im Zweifel stets rechtlichen Beistand suchen. Grade in Fällen krankheitsbedingter Kündigungen zeigt sich immer wieder, dass eine sorgfältige und fachlich versierte Rechtsberatung auf beiden Seiten des Arbeitsverhältnisses unerlässlich ist um (eventuell teure) Fehler zu vermeiden.