Unkündbarkeit im Arbeitsrecht

Unkündbarkeit im Arbeitsrecht – verlässlicher Schutz oder trügerische Sicherheit?

Für viele Arbeitnehmer ist sie ein beruhigendes Ziel, für Arbeitgeber hingegen oft ein nicht unerhebliches Betriebsrisiko: die Unkündbarkeit des Arbeitsverhältnisses. Wer als „unkündbar“ gilt, fühlt sich häufig auf der sicheren Seite mit dem guten Gefühl, im Ernstfall nicht so leicht den Arbeitsplatz zu verlieren. Doch auch dieser arbeitsrechtliche Schutzstatus ist nicht grenzenlos.

In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass die Unkündbarkeit zwar effektiv vor ordentlichen Kündigungen schützt, dies bedeutet aber keineswegs eine absolute Unkündbarkeit. Dieser Irrglaube kann im Ernstfall oft zu Unsicherheiten auf beiden Seiten des Arbeitsverhältnisses führen.

Der nachfolgende Beitrag beleuchtet, wie Unkündbarkeit im Arbeitsrecht funktioniert, wo ihre Grenzen liegen und was Gerichte in den letzten Jahren zu dieser Thematik entschieden haben. 

Was genau ist mit Unkündbarkeit gemeint und was ist ihre Rechtsgrundlage

Unkündbarkeit bedeutet arbeitsrechtlich, dass ein Arbeitnehmer nicht mehr ordentlich (d.h. unter Einhaltung gesetzlicher, tariflicher oder vertraglicher Kündigungsfristen) gekündigt werden kann. Dieser besondere Kündigungsschutz ergibt sich jedoch nicht aus dem Gesetz selbst, sondern aus Tarifverträgen, individuellen Arbeitsverträgen oder gegebenenfalls Betriebsvereinbarungen.

Auch individualvertraglich kann Unkündbarkeit vereinbart werden. Diese Vereinbarungen sind grundsätzlich wirksam, dürfen jedoch nicht dazu führen, dass gesetzlich vorgesehene Schutzmechanismen wie die Sozialauswahl umgangen werden. Die Rechtsprechung sieht solche individualvertraglichen Regelungen dann als rechtswidrig an, wenn sie keine sachlichen Gründe erkennen lassen oder gezielt zur Benachteiligung bestimmter Arbeitnehmer dienen.

(LAG Berlin-Brandenburg, BeckRS 2010, 73664, Entscheidungsgründe)

Die Rolle von Tarifverträgen

In vielen Branchen, insbesondere im öffentlichen Dienst, ist tarifliche Unkündbarkeit eine gängige Praxis. Die einschlägigen Tarifverträge legen dabei präzise fest, unter welchen Voraussetzungen dieser Status erreicht wird. Meist ist eine Mindestdauer der Betriebszugehörigkeit und ein bestimmtes Alter erforderlich, um den Status eines unkündbaren Arbeitnehmers zu erreichen.

Der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) beispielsweise schließt eine ordentliche Kündigung für Angestellte aus, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und mindestens 15 Jahre ununterbrochen beschäftigt sind. Diese Regelung zielt vorwiegend darauf ab, die langjährige Betriebstreue zu honorieren und den sozialen Bestandsschutz zu stärken.

Zudem hat die Rechtsprechung insbesondere in aktuelleren Entscheidungen ausdrücklich betont, dass dieser besondere Kündigungsschutz auch für Teilzeitkräfte gilt. Der unterschiedliche Beschäftigungsumfang stellt allein keinen sachlichen Grund dar, Teilzeitbeschäftigte vom Schutz der Unkündbarkeit auszunehmen. Es würde dem grundgesetzlich verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz widersprechen, wenn Vollzeitkräfte gegenüber Teilzeitbeschäftigten bevorzugt würden, sofern beide die tariflichen Voraussetzungen erfüllen.

(AP BAT § 53 Nr. 5)

Auch unkündbare Arbeitnehmer können unter bestimmten Voraussetzungen gekündigt werden

Unkündbarkeit bedeutet nicht, dass ein Arbeitsverhältnis nicht mehr beendet werden kann. Es schließt nur die ordentliche Kündigung aus. Eine außerordentliche Kündigung ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Dies gilt sowohl bei personen- als auch bei verhaltensbedingten Gründen. Etwa bei gravierendem Fehlverhalten wie Diebstahl, Betrug oder massiven Störungen im Betriebsklima soll eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses weiterhin möglich bleiben.

In Ausnahmefällen kommt auch eine betriebsbedingte außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist in Betracht. Hierbei handelt es sich um eine außerordentliche Kündigung, die dem Arbeitnehmer dennoch eine Auslauffrist einräumt (d.h. eine Kündigungsfrist), die derjenigen eines vergleichbaren ordentlich kündbaren Arbeitnehmers entspricht. Ziel ist es, die Kündigung für den Arbeitnehmer sozial verträglich zu gestalten.

(LAG Rheinland-Pfalz, BeckRS 2011, 76109; LAG Rheinland-Pfalz, BeckRS 2016, 122996, Entscheidungsgründe)

Gemeint sind hier vor allem die Fälle der abschließenden Betriebsschließung oder die Fälle, in denen die Beschäftigungsmöglichkeit für Mitarbeitende abschließend wegfällte (z.B. Outsourcing auch in größerem Umfang). Das Bundesarbeitsgericht stellt hierzu fest, dass der Schutz tariflich unkündbarer Arbeitnehmer nicht dazu führen darf, dass der Arbeitgeber gezwungen ist, über Jahre hinweg Gehälter zu zahlen, ohne eine angemessene Gegenleistung in Form von Arbeit zu erhalten. Allerdings sind die Anforderungen an eine solche Kündigung eines eigentlich „unkündbaren“ Arbeitnehmers besonders streng (gerichtlich) zu bewerten bzw. zu überprüfen

(BAG, NZA 2013, 730).

Die Weiterbeschäftigungspflicht – eine hohe Hürde für Arbeitgeber

Bevor eine Kündigung ausgesprochen werden darf, müssen Arbeitgeber nachweislich prüfen, ob der betroffene Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden kann. Eine Weiterbeschäftigung kann z.B. auf einem anderen Arbeitsplatz, in einer anderen Abteilung oder mit geänderten Aufgaben gewährleistet werden. Diese Pflicht gilt gerade bei tariflich unkündbaren Arbeitnehmern in besonders hohem Maße.


Ein wichtiger Grund für eine ordentliche Kündigung eines tariflich unkündbaren Arbeitnehmers liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf einem freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigen kann.

(BAG, BeckRS 2009, 65519, Orientierungssatz)

Die Prüfpflicht des Arbeitgebers ist nicht bloß formal. Sie erfordert eine ernsthafte, dokumentierte Auseinandersetzung mit der Möglichkeit der Weiterbeschäftigung. Andernfalls kann die Kündigung schon aus diesem Grund unwirksam sein. Zudem findet bei „unkündbaren“ Arbeitnehmern eine Beweislastumkehr in Bezug auf die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten statt. So ist in diesem Fall (im Gegensatz zum „normalen“ Kündigungsverfahren) der Arbeitgeber in der Pflicht den Beweis zu führen, dass eben kein anderer alternativer Arbeitsplatz angeboten werden kann.

Betriebsvereinbarungen zur Unkündbarkeit

Teilweise enthalten auch Betriebsvereinbarungen Klauseln zur Unkündbarkeit. Doch anders als Tarifverträge unterliegen Betriebsvereinbarungen einer begrenzten Regelungskompetenz. Das bedeutet, dass Betriebsvereinbarungen zwar arbeitsplatzbezogene oder verfahrensrechtliche Aspekte regeln dürfen, nicht aber den gesetzlichen Kündigungsschutz vollständig ersetzen oder erweitern dürfen.

Die Rechtsprechung ist hier recht klar und sehr stringent. Eine betriebliche Unkündbarkeitsregelung ist nur dann wirksam, wenn sie keine grundlegenden gesetzlichen oder tariflichen Schutzstandards ausgehebelt werden und die Regelung auf sachlichen Gründen beruht.

(LAG Berlin-Brandenburg, BeckRS 2010, 73664, Entscheidungsgründe)

Dennoch können solche Vereinbarungen in der Praxis Bedeutung haben, etwa in betrieblichen Sozialplänen oder bei Restrukturierungen, um Härten für besonders schutzbedürftige Arbeitnehmer abzumildern.

Betriebsbedingte Kündigungen trotz Unkündbarkeit

Betriebsbedingte Kündigungen sind in aller Regel nur bei ordentlich kündbaren Arbeitnehmern zulässig. Für unkündbare Arbeitnehmer sind sie grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Ausnahme bildet das Vorliegen eines so gravierenden betrieblicher Grundes, der eine Weiterbeschäftigung vollständig unmöglich macht. Selbst dann muss zusätzlich geprüft werden, ob eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist in Betracht kommt.

Voraussetzung ist eine fundierte betriebswirtschaftliche Prognose, die belegt, dass der Arbeitsplatz dauerhaft entfällt und eine Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz nicht möglich ist.

(ArbG Berlin, BeckRS 2014, 69478, Entscheidungsgründe)

Die Rechtsprechung verlangt, dass diese Prognose auf belastbaren Tatsachen basiert. Dies bedeutet, dass pauschale Aussagen oder betriebswirtschaftliche Annahmen nicht ausreichen, um eine solche Prognose zu untermauern. Zudem muss der Arbeitgeber nachweisen, dass er alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Kündigung ausgeschöpft hat und somit die Kündigung als alternativlose ultima ratio angebracht ist.

(BAG, BeckRS 2004, 30344934, Entscheidungsgründe)

Unkündbarkeit im internationalen Arbeitsrecht -Achtung vor vertraglichem Verzicht

Ein interessanter Sonderfall ergibt sich im internationalen Arbeitsrecht. Nicht selten versuchen großeUnternehmen, durch Vertragsgestaltung den Kündigungsschutz nationaler Rechtsordnungen zu umgehen. Dabei kann es zur Vereinbarung eines vollständigen Verzichts auf Kündigungsschutz kommen.

Das deutsche Recht betrachtet solche Klauseln unter Umständen als verstoßend gegen den ordre public, also gegen grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien. Insbesondere wenn auf die Unkündbarkeit vollständig verzichtet wird, ohne dass der Arbeitnehmer angemessen geschützt ist, kann dies zur Unwirksamkeit der betreffenden Regelung führen.

(BeckOK BGB/Spickhoff VO (EG) 593/2008 Art. 8 Rn. 34)

Gerade bei grenzüberschreitenden Sachverhalten empfiehlt sich daher eine sorgfältige (anwaltliche) Prüfung der arbeitsvertraglichen Grundlagen und der anwendbaren Rechtsordnung. Unter Umständen kann trotz vertraglicher Umgehung eine Unwirksamkeit der vertraglichen Regelung durchgesetzt werden.

Fazit: Unkündbarkeit ist ein starkes Schutzinstrument, allerdings mit einer rechtlich definierten Elastizität

Unkündbarkeit verleiht Arbeitnehmern ein hohes Maß an Sicherheit und ist Ausdruck sozialer Verantwortung im Arbeitsverhältnis. Gleichzeitig zwingt sie Arbeitgeber dazu, sorgfältig, sachlich und vorausschauend zu agieren. Eine Kündigung trotz Unkündbarkeit ist möglich, aber nur bei Vorliegen ganz konkreter Ausnahmegründe und unter Einhaltung höchster rechtlicher Anforderungen.

Für Arbeitnehmer lohnt es sich, ihren Status genau zu kennen. Gilt der Schutz tariflich, individuell oder betriebsvereinbart? Ist eine außerordentliche Kündigung tatsächlich gerechtfertigt? Wurden alle Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten geprüft?

Arbeitgeber wiederum sollten frühzeitig juristischen Rat einholen, um nicht durch formale Fehler oder unvollständige Prüfprozesse die Wirksamkeit einer beabsichtigten Kündigung zu gefährden und sich somit eventuell auf teure und zeitintensive gerichtliche Auseinandersetzungen einzulassen.

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